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Tanz die Akzeptanz!

complete Magazin 03/23

Mehr als nur eine Band: Zum Tag der Menschenrechte, am 10. Dezember, waren The Cake Escape auf vierzig interaktiven Plakaten in ganz Graz zu sehen. Per QR-Code konnte man die einzelnen Bandmitglieder auf dem eigenen Handy tanzen lassen.

The Cake Escape, das sind von links nach rechts: Nima, Yún, Zola, Gigi und Luca
© ONIMOstudios
Die beiden Erfinderinnen und Masterminds, Grafikerin und Illustratorin Yue-Shin Lin und ihre Partnerin Lilly Jagl
© Nikola Milatovic
The Cake Escape und ihre Unterstützer:innen vom Grazer Afro-Asiatischen Institut
© ONIMOstudios
Der interkulturelle Botschafter der steirischen ISOP (Innovative Sozialprojekte), Fred Ohenhen, mit den Cakies. Seine Tochter Alice Ohenhen verleiht Zola ihre Stimme
© ONIMOstudios

Vergleiche nerven oft. Doch sie helfen auch bei der Orientierung. In diesem Fall heißen die Referenzpunkte: Gorillaz, Hatsune Miku oder K/DA. Lauter Bands oder Musiker:innen, die als virtuelle Avatare auftreten. Ein Konzept, das erstmals 1958 mit Alvin and the Chipmunks zum Einsatz kam. Längst ist es ein fixes Genre der Popkultur.

Seit mehr als einem Jahr hat nun auch Österreich eine virtuelle Band: die Grazer Frauen-Gruppe The Cake Escape. Fünf animierte Cartoon-Charaktere, lauter People of Color mit dem Motto „Diversity, Equality and Unity“.

The Cake Escape tanzen auch als virtuelle Band aus der Reihe: Nicht Musik und Fame stehen im Vordergrund. Die Gruppe hat einen sozialen Bildungsauftrag, auch wenn es die beiden Erfinderinnen und Masterminds, die Grafikerin und Illustratorin Yue-Shin Lin und ihre Partnerin Lilly Jagl, beide 37, ungern so formuliert wissen. Es klinge zur sehr nach erhobenem Zeigefinger, findet Yue-Shin Lin. Sie wollen Bewusstsein für Themen wie Antirassismus und Feminismus schaffen, aber mit Freude und ohne Moralkeule.

Das Konzept geht auf: Im Vorjahr gewann das multimediale Projekt den FEE Award 2022 Graz. Zum Tag der Menschenrechte am 10. Dezember waren The Cake Escape auf vierzig interaktiven Plakaten in ganz Graz zu sehen. Kurz darauf erschien der erste Song samt Musikvideo. Wie die Idee zur Kombo mit Awareness-Anspruch entstand und warum die Cakies noch nicht auf Tour sind, dafür aber demnächst ein Comic ihre Geschichte erzählen wird.

Das Quintett The Cake Escape hat nicht das Leben zusammengeführt – die einzelnen Charaktere der Band sind gezeichnet worden. Welche Geschichte steckt dahinter?

Yue-Shin Lin: Die Idee ist 2020 zu Beginn der Pandemie entstanden. Damals kam vermehrt Rassismus gegenüber als asiatisch empfundenen Personen auf. Ich habe einen taiwanischen Background und war mit einigen alltagsrassistischen Übergriffen konfrontiert. Das wollte ich meiner damals sechsjährigen Tochter erklären. Gemeinsam mit ihr habe ich verschiedene Figuren mit verschiedenen Eigenschaften und Backgrounds entworfen. So sind die fünf Charaktere entstanden. Mit ihnen wollen wir auf Missstände und Diskriminierungsformen aufmerksam machen. Der erste Song „We Are the Cake Escapers“ dreht sich um die ewige Frage „Wo kommst du eigentlich her?“. Jede Person mit Migrationshintergrund kennt sie. Zwar bin ich in Österreich geboren, doch für gewöhnlich wollen die meisten wissen, wo ich „eigentlich“ herkomme. Für mich war es die längste Zeit normal zu sagen: „Ich bin in Graz geboren und meine Eltern sind aus Taiwan.“ Ich offenbare damit etwas sehr Privates. Freund:innen oder Menschen meiner Wahl davon zu erzählen, ist für mich kein Problem. Unpassend ist es aber, wenn man an der Straßenbahnhaltestelle steht und irgendeine Person zusammenhangslos „die Herkunft“ wissen will, weil man für sie exotisch aussieht. 2020 haben sich diese alltagsrassistischen Momente spürbar vermehrt. Mir haben auch andere asiatisch gelesene Personen von Vorfällen erzählt. Von Leuten, die plötzlich bei ihrem Anblick die Straßenseite wechselten. Davon, dass sie aufgrund von Corona auf einmal ausgegrenzt wurden.

Mit The Cake Escape wollt ihr mehr Diversity, Equality und Unity in die Welt bringen. Wie funktioniert das?

Yue-Shin Lin: Abgesehen von der eindeutig antirassistischen und feministischen Message des Songtextes von „We Are the Cake Escapers“ haben wir die fünf Charaktere so entwickelt, dass sie keinen Stereotypen entsprechen. Sie haben innerhalb der Band zwar gewisse Positionen – Zola, zum Beispiel ist Main Vocalist, Yún die Haupttänzerin. Das sind aber die einzigen Eigenschaften, die wir branden wollten. Alles andere wäre dann auch wieder stereotypisierend. Klar haben die Figuren gewisse körperliche Merkmale, die man mit einer schwarzen Person, einer Asiatin assoziierten könnte. Ein Charakter, Nima, trägt Hijab. Wir haben ihnen aber bewusst keine realen Hautfarben gegeben, um klassische Zuschreibungen zu verhindern. Stattdessen haben wir die „Colorfullness of People“ mit den bunten Farben der Figuren akzentuiert.

Ihr habt also erst die virtuelle Band entworfen. Wie hat sich die reale Band formiert?

Yue-Shin Lin: Das war ziemlich einfach: per Instagram-Aufruf und über den Freundeskreis. Bei der Auswahl der Musiker:innen war uns wichtig, dass die Message authentisch rüberkommt und dass sich die Sänger:innen mit den Charakteren, denen sie die Stimme verleihen, und dem Text identifizieren können. Wir ließen den Sänger:innen die Wahl des Charakters, denn wir wollten auch dabei keine Stereotype bedienen. Alle fünf Sänger:innen haben Migrationshintergrund oder, besser gesagt, Migrationsvordergrund.

Wie hat das Songwriting funktioniert?

Yue-Shin Lin: Den Song habe ich geschrieben, mein Musikproduzent Georg Hartwig hat ihm den richtigen Flow gegeben. Wobei ganz so stimmt das nicht. Denn beispielsweise hat Gazal, die Stimme des Charakters Nima, ihren Rap-Part selbst geschrieben und erzählt darin von ihren eigenen Erfahrungen. Gazal gefiel die Idee, dass die Person mit Kopftuch rappt, und fand es eine passende Kombination. Ein Part ist auf Japanisch, vokalisiert von Mayuna Hasebe. Überwiegend ist der Song auf Deutsch und Englisch.

Wann gehen The Cake Escape auf Tour?

Yue-Shin Lin: Erst einmal würden wir gern ein Album machen. Es gibt auch schon viele Pläne für neue Songs. Aber das ist ein finanzielles Problem. Das ganze Projekt ist ja ehrenamtlich. Wir haben alle unsere Brotjobs und machen The Cake Escape aus Leidenschaft. Allein die Produktion des Musikvideos, das wir frame by frame gezeichnet und mit Eigenmitteln finanziert haben, hat viele Monate gedauert. Wir haben diverse Förderungen bekommen, das Grazer Afro-Asiatische Institut unterstützt uns seit Beginn, und das Projekt kommt allgemein total gut an. Wir haben auch schon einige Konzertanfragen erhalten. Aber das hängt eben von den finanziellen Mitteln ab. Wir haben viele Ideen, die sicher auch cool wären, doch die Umsetzung der Animationen für ein Konzert wäre halt ein Vollzeit-Jahresprojekt. Jetzt planen wir gerade einen Comic. Der soll die Geschichte der Band erzählen. Also wie sie zusammengekommen sind, wie die einzelnen Charaktere so drauf sind, der Background eben. Mit diesem Comic möchten wir dann auch an Schulen herantreten.

Warum eigentlich „The Cake Escape“?

Yue-Shin Lin: Die Kuchen-Flucht. (lacht) Die Band ist aus einem bunt geschichteten Kuchen geboren. Details dazu werden bald im Comic zu lesen sein. Der Hintergedanke ist: Wir alle sind auf dieser Welt geboren, jede:r ist individuell und hat verschiedene Eigenschaften und Merkmale, aber am Ende sind wir alle Menschen. Oder eben Cakies.

© Nikola-Milatovic

TIPPS

Auf der Band-Website gibt es alles Wissenswerte zu den Cakies sowie einen Shop mit cooler „The Cake Escape“- Merchandise. thecakeescape.com

 

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