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Eis, Eis, Baby!

complete Magazin 2024

Eisbaden ist Trend. Warum das kalte Bad gesund und glücklich macht und die Badesaison besser nie endet, macht ein frostiger Selbstversuch mit dem Weltrekordhalter im Eisschwimmen Josef Köberl klar.

Josef Köberl schwimmt im Donaukanal zur Arbeit oder trainiert im Urlaub im isländischen Gletscher Esjufjöll
© Barbara Anderl
Am Hintersee im Salzkammergut gibt Josef Köberl Workshops im Eisschwimmen
© Karin Wasner
Wissen und Überzeugungskraft – so motiviert er seine Teilnehmer:innen, über sich hinauszuwachsen
© Karin Wasner
Über 500 Menschen begleitete er allein diesen Winter am Wiener Badeschiff auf ihrem Weg ins Eiswasser
© Barbara Anderl

„Wir haben das Zittern verlernt!“ Josef Köberl schwört auf Kälte. „Die meisten Menschen wissen gar nicht, wann sie das letzte Mal gezittert haben.“ Josef ist Weltrekordhalter im Eisschwimmen. Den Weg ins Büro legt er schwimmend zurück: von der Friedensbrücke bis zur Urania. Im Aufzug fragen ihn die Kolleg:innen, wo denn hier das Hallenbad sei.

2014 schwamm er als erster Österreicher die „Eismeile“, eine Distanz von 1.609 Metern in Wasser unter fünf Grad Celsius. Ein Jahr später durchquerte er den Ärmelkanal. Im Natureispalast des Hintertuxer Gletscher schwamm er 2021 seinen jüngsten Rekord: 38 Minuten, 32 Sekunden und 1.511,5 Meter in einer Gletscherspalte – Rekord in Süßwasser. Die Wassertemperatur an diesem Tag im Juli betrug minus 0,23 Grad, seine Kernkörpertemperatur danach nur mehr 27 Grad. Eine Grenzerfahrung. „Wir unterschätzen, was unser Körper zu leisten imstande ist.“ Wo Josef in seiner blauen Badehose zitterte, bestaunen üblicherweise Tourist:innen in dicken Daunenjacken Eisformationen einer dreißig Meter dicken Eisdecke.

Vom Widerwillen zum Wollen

„Es wird weh tun“, bereitet mich Josef auf die eisige Erfahrung vor: am Ufer des Hintersees in einem ruhigen Seitental des Salzkammerguts bei fünf Grad Außen- und fünf Grad Wassertemperatur. „Ideal fürs erste Mal!“ Der See liegt ruhig vor den noch schneebedeckten Hängen der Osterhorngruppe. Eine einzelne Ente schwimmt neugierig heran, verwundert über die Gäste im Februar am Badeplatz.

Ich hasse kaltes Wasser, meine Finger und Zehen sind ohnehin ab Mitte Oktober dauerkalt. Wechselduschen? Ein Graus. Ich bin Team Thermalbecken.

Josef nimmt sich Zeit, erklärt und motiviert. Je länger er von seiner Leidenschaft spricht, desto eher kommt es mir möglich vor, dass auch ich es schaffen kann. Mit seiner Begeisterung wird mein Widerwille zum Wollen.

Mit dem Profi ins Eis

Israelische Kampfschwimmereinheiten gehen regelmäßig mit ihm baden. Die Schauspielerin Vicky Krieps trainierte er für die Rolle der kaltbadenden Kaiserin Sisi im Film „Corsage“. Unter seiner Anleitung trafen sich während der Lockdowns bis zu 280 Menschen monatlich zum Vollmondschwimmen in der Alten Donau. „Da habe ich gespürt, wie viel es mir gibt, anderen den Zugang zu dieser Erfahrung zu ermöglichen.“

In Kursen und Workshops führt der Kaltwasser-Profi seine Teilnehmer:innen ans eisige Wasser heran. Mehrmals wöchentlich kann man mit ihm am Badeschiff im Wiener Donaukanal Körper und Geist trainieren. „Professionell begleitet und richtig dosiert, ist die Magie des Eiswassers ein Geschenk, das ich mit Freuden weitergebe!“

Verkühle dich täglich!

Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht jemand in meinen Social-Media-Feeds ins Wasser geht. Im Bodensee, im privaten Schwimmteich oder in der Plastiktonne am Balkon. Eisbaden ist Trend, aber neu ist es nicht. Der Polar Bear Club schwimmt seit 1903 im Atlantik vor Coney Island. In Wien trafen sich in der Zwischenkriegszeit die Mitglieder des Vereins „Verkühle dich täglich“ zum ganzjährigen Schwumm in der Donau. Februar 1929 hackten sie ein Loch in die fünfzig Zentimeter dicke Eisdecke nahe der Reichsbrücke, um nach einer langen Kälteperiode von bis zu minus 25,8 Grad im historischen „Eisstoß“ zu schwimmen. Heute erzählt ein Kinderbuch mit dem Titel „Verkühle dich täglich“ von einer Gruppe aufmüpfiger Kinder, die einen Verein gründen, um gegen den Drang ihrer Eltern zu rebellieren, sie ständig warm anzuziehen.

Ja, die Kälte ist gesund

„Mit allen Mitteln wollen wir unsere Körper vor Temperaturschwankungen bewahren.“ Josef Köberl befasst sich mit der Wirkung von Kälte auf Gehirn und Körper. „Aber gesund ist das nicht.“ Sich regelmäßig dem Frösteln auszusetzen, hat physische und mentale Vorteile. „Der Körper soll sich ohne Schock an Kälte gewöhnen. So trainieren wir unseren Hypothalamus und das parasympathische System.“

Schwimmen im kalten Wasser kurbelt Durchblutung und Kreislauf an, stärkt das Immunsystem und fördert die Bildung von braunem Fett. Es trägt im Körper dazu bei, überschüssige Kalorien zu verbrennen und die Körpertemperatur zu regulieren. Verantwortlich dafür sind eine Vielzahl von freigesetzten Wirkstoffen, darunter Hormone wie Adrenalin und Noradrenalin. Wiederholte Kältereize fördern die Bildung von Antioxidantien. Sie verhindern oxidativen Stress, der für die Zellalterung verantwortlich ist. Schon Pfarrer und Naturheilkundler Sebastian Kneipp wusste, dass Kältebehandlungen Entzündungsprozesse reduzieren und Blutgefäße und Herz stärken.

Das Eiswasser als Droge

Eisbaden ist beides: Zentrierung und Bewusstseinserweiterung. „Es geht darum, den Körper sowie die eigenen Empfindungen wahrzunehmen und gleichzeitig Herausforderndes zu meistern, von dem man nicht dachte, dass es möglich ist“, beschreibt Josef seine eigenen Erfahrungen. Für einige seiner Mitschwimmer:innen führte der Gang ins kalte Wasser noch weiter. „Eisschwimmen kann zum echten Mind-Changer werden.“ Endlich den stressigen Job kündigen, den nervigen Mann verlassen? „Wenn man es ins Eiswasser geschafft hat, hat man das Gefühl, alles zu schaffen.“

Wissenschaftlich nachgewiesen soll Eisbaden helfen, Stress und Ängste abzubauen und den Schlaf zu verbessern. Für den „Kick“, das berauschende Hochgefühl nach dem Frieren, sorgt freigesetztes Dopamin. Es ist der Süchtigmacher, der viele immer wieder ins Eiswasser treibt.

Eintauchen und zittern

Schön und gut. Aber alles, wirklich alles, spricht an diesem Februartag in Hintersee dagegen, mich auszuziehen. Und dann doch. Als meine Zehen ins klare Seewasser tauchen und der Schmerz mich beinahe umwirft, sind mir Hypothalamus und braunes Fett egal. Ich will nur weglaufen.

Doch ich halte durch. Fast unbemerkt gehen wir langsam immer tiefer ins Wasser. Atmen sehr fokussiert. Meine Welt wird plötzlich klein und einfach: Bloß noch ich, Josef und der kalte Hintersee. Wir schwimmen. Die Bewegung im Wasser wirkt beruhigend auf meinen alarmierten Körper. Ein Zug nach dem anderen, dann Lachen, Glück, Stolz, Finger und Füße werden taub.

Nach ein paar Minuten ist alles vorbei. Rote Haut und strahlende Gesichter, so kenne ich Eisbadende. Jetzt bin ich eine von ihnen. Dann macht mein Körper, was er soll und Josef prophezeit hat: Er „scheppert wie ein Kluppensackerl“. Das Zittern wärmt mich wieder auf. Klappernde Zähne, sprudelnde Glückshormone. „Das – will –  ich – un – be – dingt – wie – der – machen!“

© Karin Wasner

TIPP

Im Aktiv-Hotel Das Hintersee hat man vom 15.–17. März bei der Aktiv-Reihe Legends of Sports die Chance, mit Josef Köberl den Hintersee im winterlichen Salzkammergut schwimmend zu entdecken.

Ob wöchentlich am Wiener Badeschiff oder einmalig im Hintertuxer Gletscher, die Eisschwimm-Kurse von Josef Köberl sind der perfekte Einstieg ins kalte Nass.

Bild: Nach dem Eisbaden mit dem Weltrekordhalter sprudeln die Glückshormone

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