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Der neue Kulinarik-Trend

complete Magazin 10/22

Restlessen heißt jetzt „Cooking with Scraps“ oder „Waste Cooking“. Nicht nur auf Social Media, sondern auch in der Spitzengastronomie

Schalen wie etwa die der Avocado sind mit Vorsicht zu genießen. Nur Bio-Ware verwenden, der Rest kann große Mengen von Pestiziden enthalten
© Unsplash/Maarten-van-den-Heuvel
Waste-Cooker David Groß und Iss-mich-Chef Tobias Judmaier bei einem Protest gegen Lebensmittelverschwendung 2015 vor dem Wiener Parlament
© Iss mich/Tobias Judmaier
Robin-Foods-Mitbegründer David Sonnenbaum rettet mit seinen Mitstreiter*innen wöchentlich bis zu zwei Tonnen essbare Lebensmittel
© Robin Foods
Die Wiener Food-Waste-Rebell:innen sammeln täglich Weggeworfenes mit Lastenrädern
© Robin Foods

Was verbindet Erdäpfelschalen, Karottengrün und Saurüssel? Ihr Ende im Mistkübel. Das Wegwerfen genießbarer Lebensmittel ist ein riesiges Problem:  Rund die Hälfte aller produzierten Nahrungsmittel landet im Müll. Allein in Österreich rund eine Million Tonnen Essbares pro Jahr, weltweit an die 1,3 Milliarden Tonnen. Die Hälfte davon schmeißen Produzent:innen, Handel und Gastronomie weg. Die andere Hälfte unsere Haushalte, berichtet eine Studie des Instituts für Abfallwirtschaft der Universität für Bodenkultur Wien. 133 Kilogramm Nahrungsmittel kübelt jeder österreichische Haushalt pro Jahr. Davon 28 Prozent Brot und Gebäck, 27 Prozent Obst und Gemüse und zwölf Prozent Milch und Eier. Das bedeutet auch, dass 250 bis 800 Euro pro Person direkt in den Mistkübel wandern, so das Ergebnis der Studie.

Der Vergeudung sagen viele Menschen den Kampf an. Seit einigen Jahren entstehen immer mehr regionale Einkaufsgemeinschaften. Lebensmittelretter:innen holen Essbares aus Supermarktmülltonnen. In öffentlichen Kühlschränken wird geteilt, was sonst ablaufen würde. Genossenschaftliche Mitmachsupermärkte eröffnen, Restaurants und Geschäfte verkaufen überschüssige Speisen günstig an Last-Minute-Selbstabholende. In der Spitzengastronomie heißt ein neuer Trend „Nose-to-Tail“, und meint die Gesamtverwertung von Tieren. Frankreich hat 2019 als erster Staat der Welt Supermärkten per Gesetz verboten, unverkaufte Lebensmittel zu entsorgen.

Der bewusste Umgang mit Lebensmitteln ist auch auf Social-Media-Plattformen wie Instagram und TikTok angekommen. Dort ist „Cooking with Scraps“ gerade einer der größten Food-Hypes. In unzähligen Clips wird Karottengrün zu Pesto verarbeitet, Erdäpfelschalen werden im Ofen zu knusprigen Chips gebacken, und aus Gemüseschalen wird Suppe gemacht. Millionen Menschen gefällt das.

Findet also gerade eine Küchenrevolution statt? „Das Verarbeiten von geretteten Lebensmitteln und -resten ist zum globalen Trend geworden. Das kommt nun auch in den Haushalten an“, bestätigt Tobias Judmaier. Der 47-jährige Tiroler ist einer der Nachhaltigkeitspioniere des Landes. 2012 gestaltete er mit David Gross die TV-Serie „Wastecooking“, 2014 gründete er sein Cateringunternehmen „Iss-Mich“. Er kocht Gerichte aus geretteten Überschussprodukten, füllt sie in Gläser, und beliefert damit Büros oder Caterings. „Früher wurde man belächelt, wenn man Reste in mitgebrachte Tupperware packte. Heute gehört es zum guten Ton, Mitnahmebehälter bereitzustellen.“

Ist Restlverwerten nur ein vorübergehender Hype? Oder vollzieht sich in den Küchen gerade ein Paradigmenwechsel? Judmaier glaubt an ein Umdenken: „Nose-to-Tail und Cooking with Scraps sind in der Haubenküche angekommen, deshalb geht dieser Trend auch in die Breite.“ Außerdem habe die aktuelle Krise die Globalisierung entzaubert. „Dadurch wurde vielen Menschen klar, dass der Großteil unserer Lebensmittel aus dem Ausland stammt, und Krisen unsere Versorgung gefährden können.“

Für David Sonnenbaum – „ein Künstlername“ –, den 33-jährigen Wiener Food-Waste-Rebellen und Sprecher der Klimaktivist:innen „Letzte Generation“, ist das aber nicht genug: Er hat „Robin Foods“ mitgegründet. Mitglieder retten seit 2018 wöchentlich bis zu zwei Tonnen an Lebensmitteln mit Lastenfahrrädern, bereiten sie dann zu und verteilen sie. Momentan seien in den Mülltonnen der Supermärkte deutlich weniger essbare Lebensmittel zu finden, doch solange es keine gesetzlichen Verbindlichkeiten, Kontrollen und nachhaltige Produktion gebe, würde sich nichts an der Verschwendung ändern. „Die Idee der immer vollen Regale und immer frischen Produkte ist reines Marketing“, sagt Sonnenbaum. Restln schmecken nämlich auch. Hier können Sie die Probe machen: mit Scraps-Rezepten.

Kartoffelschalenchips. Backofen auf 200 Grad Ober-/Unterhitze vorheizen. Die Schalen von Bio-Kartoffeln auf einem mit Backpapier ausgelegten Backblech verteilen, mit etwas Öl beträufeln, dann Salz, Pfeffer und Chili oder Rosmarin drüberstreuen. Auf der mittleren Schiene für 15 bis 20 Minuten in den Ofen geben, bis sie knusprig sind (Garzeit kann je nach Ofen variieren).

Pesto aus Karottengrün. Einen Bund Karottengrün waschen und trocknen. Mit 250 g Cashewnüssen (Nicht-Veganer:innen können die Hälfte durch Parmesan ersetzen), einer Knoblauchzehe und 50 ml Olivenöl mit einem Stabmixer oder einer Küchenmaschine cremig pürieren und nach Geschmack salzen. Das Pesto in sterile Gläser füllen, und die Oberfläche vollständig mit Olivenöl bedecken. Im Kühlschrank aufbewahren.

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