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Eine kleine Landpartie

complete Magazin 07/23

Das Projekt „AfterWork am Bauernhof“ bringt interessierte Konsument:innen zurück zum Beginn der Nahrungskette. Eine Exkursion zu nachhaltigen Produzent:innen in und rund um Wien.

Am Biohof Riedl schnattern sich 250 Gänse durch ein artgerechtes Leben
© ÖKL
Die „Vorstadthühner“ in Oberlaa dürfen auf dem Feld eifrig scharren und gackern
© Nini Tschavoll
Biobauer Markus Sandbichler erklärt auf seinem Acker die Fruchtfolge
© Nini Tschavoll
Bäcker Jeremiah Schrott bei der Führung durch seine Backstube
© Nini Tschavoll

Die Idee kam Kornelia Zipper bei einer Jause mit Bürokolleg:innen. Genauer gesagt, als sich bei Tisch eine Diskussion darüber entspann, wie weit sich der urbane Mensch vom Ursprung seines Essens entfernt habe. Zippers Vision: Menschen zu den Wurzeln ihrer Nahrung zurückzuführen. Das Projekt „AfterWork am Bauernhof“ war geboren. Seither bringt die Agrar- und Pflanzenzucht-Ingenieurin Interessierte zu den Produktionsbetrieben und auf die Bauernhöfe – und holt gleichzeitig die Produzent:innen vor den Vorhang.

Gut 60 solcher AfterWork-Landpartien hat Zipper bislang in und rund um Wien veranstaltet. Für sie steht fest: Die Mühe hat sich gelohnt. Die Pandemie verpasste der Initiative zusätzlichen Auftrieb: „Wir spürten, dass sich die Konsument:innen in dieser Zeit intensiver als sonst mit der Herkunft und der Erzeugung der Nahrung beschäftigten. Das Interesse, bäuerliche Betriebe und Weiterverarbeitungsstätten zu besuchen, war enorm. Nur wenn die Menschen wissen, was es heißt, heute Bauer oder Bäuerin zu sein, können sie die landwirtschaftliche Arbeit auch gebührend wertschätzen“, erklärt Zipper. Zu sehen, dass eine Weidegans artgerecht gehalten werden kann und nicht gewaltsam gestopft werden muss, sei für viele eine Einsicht, die sie vor dem Tiefkühlregal im Supermarkt eben nicht hätten. „Daraus entsteht im besten Fall das Verständnis für den Preisunterschied zur nicht artgerechten Massentierhaltung“, meint die Projektleiterin. 

Geschnatter und Schweinsgalopp im Weinviertel

Artgerecht gehaltene Gänse können die Teilnehmer:innen etwa am Biohof Riedl im niederösterreichischen Göllersdorf besuchen. Per Bus geht es dazu von Floridsdorf ins Weinviertel. Dort, bei Familie Riedl, werden jährlich rund 250 Weidegänse aufgezogen. Als Küken, auch Gössel genannt, kommen sie auf den Hof, wachsen dort binnen einiger Monate zu Gänsen heran und werden von Oktober bis November vor Ort geschlachtet. Das erspart den Tieren die Aufregung des mitunter qualvollen Transports. In konventioneller Haltung werden Gänse hingegen innerhalb von nur vier Wochen schlachtreif gemästet.

Vorbei an herumgaloppierenden Freilandschweinen wandern die Besucher:innen ein Stück die Felder entlang, auf denen die Eskildsen-Weidegänse aufgeregt schnattern. Hundert Quadratmeter und etwa einen Kilo Gras pro Tag ergeben eine artgerecht gehaltene Gans, so lautet hier die Gleichung. Vor einigen Jahren stellte Herrmann Riedl seinen Betrieb auf Bio um. Neben Weidegänsen hält er Schweine und Freilandhühner, deren Eier u. a. am Wiener Kutschkermarkt verkauft werden. „Die Lebensdauer dieser Hühner beträgt zwischen 14 und 16 Monaten“, erklärt er. Danach werden sie als Suppenhühner verkauft. Damit sich die Besucher:innen ein Bild davon machen können, wo das Leben der Hühner endet, ehe sie im Topf landen, führt Riedl in den Schlachtraum. Schließlich wollen die „AfterWork am Bauernhof“-Ausflüge möglichst viele Aspekte der Nahrungsproduktion zeigen. Danach werden den Teilnehmer:innen warme Hühnersuppe mit Nudeln und deftige Eiauftstrichbrote serviert. Das Ende der Nahrungskette ist erreicht.

Vorstadthühner aus Oberlaa

Aufgeregtes Gegacker begrüßt die Teilnehmer:innen der Fahrt „Vom Korn zum Brot“ auch am Bio-Bauernhof von Markus und Katharina Sandbichler. Neben Pferden und einem Hofhund halten die beiden BOKU-Absolvent:innen hier auf dem Prentlhof, am Rande Favoritens, 700 „Vorstadthühner“. Die Legehennen der Rasse Lohmann Brown sind in zwei mobile Ställe aufgeteilt. Diese nutzen sie aber nur nachts zum Schutz vor Fuchs und Marder. Von Zeit zu Zeit werden die Ställe auf der großen Wiese vor dem Hoftor versetzt. Hühner lieben es zu scharren und zu picken, daher sind gelegentliche Ortswechsel für sie und für den Boden wichtig. „Wir denken in Kreisläufen, daher ist es eine gute Sache, wenn die Hühner die Felder düngen“, erklärt Katharina, die auch ausgebildete Reit- und Kräuterpädagogin ist. 2007 übernahm Markus in sechster Generation den Hof von seinen Eltern. Seither werden hier Eier produziert und verschiedene Getreidearten angebaut. Etwa Hart- und Weichweizen, Roggen, Gerste oder Einkorn, Senf, Öllein, Sonnenblumen, Linsen und Kürbisse. „Wir produzieren auch Ölkürbisse, aus denen Wiens einziges Bio-Kürbiskernöl hergestellt wird“, erzählt Markus während des Hofrundgangs.

Nach einem Spaziergang um die Felder, bei dem der Ackerbauer Fruchtfolge und Düngemöglichkeiten in der Biolandwirtschaft erklärt, gibt es auf dem Hof Jause, gekühlte Getränke und die Geschichte des Oberlaaer Bauernbrots: Das geht auf ein Projekt zurück, das Markus Sandbichler vor einigen Jahren mit einigen anderen Betrieben entwickelte, um die Wertschöpfungskette „Vom Feld zum Brot“ sichtbar zu machen. Die Parameter des Oberlaaer Bauernbrotes: Ein Produktionsradius von maximal 25 Kilometern, gemahlen wird in Niederösterreich, gebacken im Wiener Traditionsbäckerbetrieb Schrott. Und der ist auch das nächste Ziel des Ausflugs.

Bauernbrot aus der Großstadt

Dazu geht’s von der Peripherie ins Zentrum. In der 300 Quadratmeter großen Backstube unweit des Westbahnhofs wartet Jeremiah Schrott, ebenfalls in sechster Generation im Familienbetrieb. Der junge Bäcker erklärt in Grundzügen den Betrieb und beantwortet Fragen zu Mehlsorten, Sauerteiggärung oder Gehzeiten. Täglich um 22 Uhr treten hier zehn Bäcker:innen die Arbeit an. Dabei verbrauchen sie durchschnittlich eine Tonne Mehl. „Das Entladen der Säcke war früher äußerst schweißtreibend“, erzählt Jeremiah Schrott. Heute können unter der Backstube auf der Äußeren Mariahilfer Straße zehn Tonnen Weizen- und sechs Tonnen Roggenmehl gelagert werden. „Damit kommen wir zwei Wochen aus“, erklärt er.

Vorbei an großen Knetmaschinen, Dutzenden Gärkörben und Backöfen geht es zum Abschluss der Besichtigung noch einmal zum Buffet: frisch gebackenes Oberlaaer Bauernbrot. 

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