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Das große Schlecken

complete Magazin 06/23

Der Sommer ist da und die Schlangen vor den Eissalons werden immer länger. Auf eine Kugel in Wiens bestem Eissalon Gelati Serafini.

Valentina und Tochter Laura Serafini haben 2018 Gelati Serafini in der Brigittenau wieder zum Leben erweckt
© Christopher Mavric
Klassischer geht kaum: Bei Gelati Serafini genießt man inmitten von Spiegeln, Marmorfliesen und mit himbeereisfarbenem Samt bezogenen Sesseln
© Christopher Mavric
Valentina und Laura Serafini mit Eismacher Giovanni und der Gelato-Crew
© Christopher Mavric
Damit die dreißig Sorten in der Vitrine von Gelati Serafini nie ausgehen, wird ständig frischer Nachschub zubereitet – ohne künstliche Aromen oder Farbstoffe. „Alles Natur“ ist Chefin Valentina Serafini wichtig
© Christopher Mavric

Orgiastischer Genuss von einem kleinen, spatenförmigen Löffel schmilzt auf der Zunge. Wir sind bei Valentina Serafini. „Dunkle Schokolade“ steht auf einem Kärtchen unter schwarzen Wellen. Eis in kunstvoller Form, vom Eismeister Giovanni in den Stahlbehälter gestrichen. „Hochwertige Bitterschokolade, Wasser und etwas Zucker“, sagt Valentina Serafini. Ihre Worte dringen nur leise durch die Explosionen des neuralen Feuerwerks, das ihre Kreation auslöst. Noch nie waren Bitterschokolade, Wasser und etwas Zucker cremiger. Keine Serotonin-Umarmung kann inniger sein. Valentina Serafini beherrscht Gelato wie kaum jemand. Ihr „Gelati Serafini“ wurde zweimal in Folge zum besten Eissalon Wiens gewählt. Ihre beste Kundin sei sie selbst, sagt die Eismacherin. „Schon als Kind wollte ich immer zwei Eis: eines für gleich und eines für später.“ Fünfzig Jahre später geht sogar eine Kugel zum Frühstück.

Schleckfaules Österreich und Krisenstanitzel

Durchschnittlich acht Liter Speiseeis werden in Österreich pro Kopf und Jahr verzehrt. In Kugeln umgerechnet macht das 64. Damit ist der Eiskonsum hierzulande vergleichsweise asketisch: Im europäischen Vergleich des deutschen Statistik-Portals Statista von 2018 landete Österreich auf dem vierten Platz – von hinten. Am meisten, nämlich 12,5 Kilogramm Eis pro Nase, werden jährlich in Estland gegessen.

Dennoch können österreichweit 400 Eissalons, davon 165 in Wien, vom Verkauf des Glücks im Stanitzel leben. Auch wenn die gestiegenen Mieten, Strompreise und jene der Hauptzutaten Zucker und Milch die Gelato-Preise laut Wirtschaftskammer heuer um gute zehn Prozent steigen ließen: Eine Kugel kostet zwischen € 1,90 und € 2,20. Damit ist Speiseeis zwar noch längst nicht wie zu Beginn der „Eiszeit“ dekadentes Luxusgut für Reiche und Adelige, aber auch nicht mehr die frostige Götterspeise für jede Brieftasche.

Die großen Legenden der „Eiszeit“

Die Geschichte der Allerweltlieblingssommersüßigkeit liest sich im Zeitraffer so: Vor mehr als 5.000 Jahren garnierten Chines:innen Schnee mit Früchten und Honig. Im antiken Griechenland und im alten Rom gab man zum Gefrorenen Rosenwasser hinzu. Kaiser Nero schickte angeblich für einen kühlen Sommerabend-Chill-out Schnellläufer in die Alpen um Eis, das er dann in Kisten vergraben ließ. Im 13. Jahrhundert brachte der chinareisende Kaufmann Marco Polo eine abgeschriebene Speiseeisrezeptur zurück nach Europa. Katharina von Medici, Mutter französischer Könige mit blutigem Portfolio („Bartholomäusnacht“ vom 23. auf den 24. August 1572, ein Pogrom an Hugenotten), soll das Eis aus der Toskana nach Frankreich gebracht haben, wo es fortan Könige und Mönche schlemmten. 1686 eröffnete Francesco Procopio dei Coltelli das erste Eiscafé der Welt unter dem Namen „Café Procope“ in Paris. Zuvor hatte er den Sonnenkönig Ludwig XIV. bekocht. Die Demokratisierung des süßen Luxusgenussmittels begann mit der Kältemaschine des Ingenieurs Carl von Linde 1876. Und 1906 wurde in Wien erstmals eine elektrische Eismaschine in Betrieb genommen. Damit begann das große Schlecken.

Der beste Eissalon als One-Woman-Show

Bei „Gelati Serafini“ herrscht während der Eissaison fast rund um die Uhr Betrieb. Es ist 9.30 Uhr, die Besitzerin Valentina Serafini und ihr Eismacher Giovanni sind bereits seit Stunden zugange: Der Schanigarten ist gastfertig; im kleinen Eissalon unweit des Brigittenauer Wallensteinplatzes sind die verspiegelten Wände makellos geputzt, die Marmorfliesen auf dem Boden glänzen, die mit Himbeereis gleichendem Samt bezogenen Sesseln sind zurechtgerückt und die Eisvitrine ist mit frisch zubereiteten dreißig Sorten befüllt. Sieben Tage die Woche von 8.30 Uhr bis nachts um 12 steht Valentina Serafini in ihrem Geschäft. Vom 1. März bis Mitte Oktober. Erst danach kann sie ein bisschen Sommer nachholen. Unterstützt wird sie von drei Student:innen, an Wochenenden von ihrer Tochter Laura, und in der Küche packt Giovanni mit an. Aber eigentlich ist „Gelati Serafini“ eine One-Woman-Show.

2018 hat die gebürtige Norditalienerin die Eisdiele gekauft. Oder besser gesagt: zurückgekauft. Valentina Serafini arbeitete bereits im Sommer 1977 als Jugendliche gemeinsam mit ihrem Bruder Rocco im Eissalon in der Wallensteinstraße 52. 1980 übernahmen die Geschwister den Laden, 1998 ging ihr Bruder zurück in die trientinische Heimat. Valentina Serafini betrieb fortan mit ihrem Mann ein Restaurant und einen Eissalon in der Leopoldstadt. „Ich hatte einen herzlichen Empfang, als ich Gelati Serafini wiedereröffnete. Die Menschen hier in der Brigittenau haben mich nicht vergessen“, erzählt Serafini, während sie die Tür zur Küche aufdrückt.

In der Alchemistenküche der Eisköche

Zwischen den metallenen Arbeitsflächen und den großen Geräten für die Eisherstellung bleibt nur ein schmaler Gang in dem gefliesten Raum. Hier ist Eiskoch Giovanni am Werken, befüllt riesige Maschinen, schneidet frische Früchte, wirft einen prüfenden Blick in die Schüssel, in der gerade frische Hollerblüten marinieren, überprüft die Konsistenz der Eiscremen. „Bei der Eisherstellung kommt es auf den richtigen Moment an.“

Valentina Serafini erklärt den Prozess: In der Eiskochmaschine werden die Zutaten erhitzt, um Keime abzutöten. Danach muss die heiße Masse abkühlen und kommt in eine der großen Eismaschinen nebenan. Dort drehen sich Schabmesser in riesigen Metallgefäßen. Während die Creme friert, schließt sie Luft ein und sorgt dafür, dass das Eis nicht zu fest wird. Künstliche Zusatz- oder Farbstoffe kommen nicht in Serafinis Gelato. „Alles Natur“, sagt sie. Wichtig sei die Qualität der Zutaten. Das bei Kindern so beliebte grellblaue Schlumpfeis färbt Serafini mit Spirulina. „Selbst das geht mir fast schon ein bisschen gegen den Strich.“

Und was tut ein:e Eismacher:in an Regentagen? Wenn Serafini nicht im Akkord frisches Eis nachproduziert, experimentiert sie mit neuen Sorten, macht Eiskonfekt, Eismarillenkrapfen, glasiert Tüten, bereitet Torten zu oder erfüllt ihren Kund:innen Sonderwünsche. „Der Eissalon ist meine Leidenschaft. Die Freude in den Gesichtern der Menschen zu sehen, wenn sie sich mit einem Eis etwas Gutes tun, ist ein schöner Anblick.“

© Christopher Mavric

TIPP

Gelati Serafini
Wallensteinstraße 52
1200 Wien
www.gelatiserafini.at

Bild: Das hausgemachte italienische Eis aus rein natürlichen Zutaten von Valentina Serafini ist wieder zum Lieblingseissalon der Wiener:innen gewählt worden

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